Wie weiter mit Twitter (und anderen)? Ein Teil der Antwort ist Really Simple

Nein, ich habe auch keine Antwort, wie es mit Twitter weitergeht, nachdem das soziale Netzwerk/der Kurznachrichtendienst am (heutigen) Freitag vom, vorsichtig ausgedrückt, exzentrischen Multimilliardär Elon Musk übernommen wurde. Aber die Entwicklung bei Twitter und auch auf anderen sozialen Netzwerken, egal welche, zeigt eines: Zu viele Nutzer, die auch Inhalte einstellen, haben die Kontrolle über diese ihre Inhalte schon lange leichtfertig aus der Hand gegeben.

Typisches Beispiel dafür sind Institutionen, Unternehmen, selbst Regierungen, die immer mehr – und manchmal ausschließlich – eines dieser sozialen Netzwerke für ihre Kommunikation nach außen nutzen. Die Regierung von Mali veröffentlicht ihre Erklärungen fast nur noch über Facebook und Twitter. Das deutsche Verteidigungsministerium und die Bundeswehr, die genug Geld für die Pflege ihrer aufwändigen Internetseiten ausgeben, veröffentlichen manche Informationen auch nur noch auf diesem Weg – auf der Webseite landet das dann später und oft genug gar nicht mehr (ein Beispiel dafür sind die schnellen Kurzmeldungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, die schnell via Twitter publiziert werden, aber selten dann auf der Webseite stehen). Das tägliche Intel Update des britischen Verteidigungsministeriums zur Lage in der Ukraine gibt es ausschließlich auf Twitter.

Und auch einzelne Personen, die durchaus was zu sagen haben, verfahren nicht anders. Da wird ein komplizierter – und interessanter – Inhalt in 32 Häppchen aufgeteilt, die dann als Thread 1/x in einzelnen Tweets publiziert werden. Über Dienste wie @threadreaderapp wird das dann vom interessierten Leser in einen zusammenhängenden Text umgewandelt, den die Autorin, der Autor, so nie publiziert hat. (Dabei, ironischerweise, sind das meist Personen, die von ihrer Kenntnis her durchaus was zum Thema zu sagen haben, aber meist nicht für die Allgemeinheit schreiben, sondern zum Beispiel für eine wissenschaftliche Community.)

Ehe nun die große Debatte losgeht (oder während sie parallel läuft), was denn an die Stelle von Twitter treten könnte, sollten sich alle, dort über Kommentare oder Privates hinaus Text und Informationen für die Allgemeinheit publizieren, einen Satz zu Herzen nehmen: Take back control. Bestimme erst mal selbst, wo, in welcher Form und in welchem Umfang dein Text erscheint.

Für so viele ist das ziemlich einfach, erst recht für Institutionen, die ja meist eine eigene Webseite betreiben: Die Inhalt dorthin zuerst. Und dann schauen, wie sie über die vielen social media-Kanäle, ja, auch Twitter, weiter verbreitet werden können. Aber wenn einer dieser Kanäle ausfällt, ist der Inhalt immer noch da.

Es gibt sogar, fast vergessen, technische Wege, unabhängig von diesen sozialen Medien seine Inhalte zu verbreiten. Vor rund 20 Jahren, die ganze social media-Welt war noch gar nicht existent oder stand am Anfang, wurde bereits RSS genutzt: Real Simple Syndication, ganz einfache Verbreitung hieß es und funktionierte auch so. Die meisten Webseiten hatten einen so genannten RSS-Feed, und der konnte – und kann! – mit entsprechenden Programmen gelesen werden: Neue Einträge auf einer Webseite landen sofort bei den Leser*innen.

Das System gibt’s noch immer. Nur haben leider viele, wenn nicht die meisten Webseiten den RSS-Feed gar nicht mehr integriert – bei einem Relaunch wird inzwischen schlicht darauf verzichtet. Statt dessen stehen dort die Links zu Twitter, Facebook, LinkedIn, YouTube, Instagram oder was gerade bevorzugt wird. Kein einziger Kanal, bei dem der Urheber auch nur den geringsten Einfluss darauf hat, ob, wie lange und in welchem Umfang er zur Verfügung stehen wird.

Vielleicht fangen jetzt einfach mal viele Autor*innen an, auf einer – oft genug bereits vorhandenen – Webseite zu posten, die Inhalte via RSS zu verbreiten und dann, aber erst dann auch zusätzlich Twitter&Co. zu nutzen.

Die Leser*innen müssten sich allerdings auch erst wieder – oder überhaupt – dran gewöhnen. Das System ist vielen nicht bekannt, und auch aus der Vielzahl der dafür nötigen so genannten Feedreader ist eine sehr überschaubare Zahl geworden. (Ich selbst nutze dafür netvibes.com, das allerdings einen etwas anderen Schwerpunkt bekommen hat. In letzter Zeit mache ich allerdings davon auch immer seltener Gebrauch – weil die Zahl der Webseiten mit RSS-Feed ja auch brutal abgenommen hat. Mein eigenes Blog augengeradeaus.net kommt aber unverändert auch mit diesen Feeds.)

Nein, das beantwortet noch lange nicht den dazu gehörenden zweiten Teil der Frage: Was ist denn künftig, wenn gewünscht, die Alternative für die Debatte, die Kommunikation, den Austausch, das Soziale der sozialen Medien? Darauf habe ich auch noch keine Antwort. Aber vielleicht fangen einige dennoch mal an, über die alternativen Publikations- und Verbreitungswege nachzudenken. Es ist nicht mehr der Anfang der Nuller Jahre, als RSS für Blogs ein großes Ding war. Aber es ist really simple.

(Ich bin natürlich nicht der einzige, der überlegt, wie das so weitergehen könnte, und längst nicht der erste. Aber wenn genug drüber nachdenken, kann sich ja was bewegen.)

Werbung

Über wiegold

Thomas Wiegold
Dieser Beitrag wurde unter Diese Medien veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.