Am (morgigen) 25. Mai tritt die neue EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft. Und in den letzten Stunden davor laufen die Juristen und Kommunikationsverantwortlichen in Institutionen und Firmen zu Topform auf – vermutlich ist es aber auch nur die Torschlusspanik: Noch rechtzeitig vor Inkrafttreten teilen mir alle mit, dass sie mich doch bislang mit Informationsmails (gerne genutzter Begriff: Newsletter) beschicken und dass es jetzt dafür eine neue datenschutzrechtliche Grundlage gibt.
Aber: Die neue Verordnung scheint hinreichend unscharf. Denn es gibt für diese Newsletter und die künftig geltende Datenschutzregelung zwei Denkschulen.
Die eine, eher vorsichtige, nennen wir sie die Exiter: Ohne eine ausdrückliche Zustimmung von meiner Seite dürfe man mir leider, leider künftig gar nichts mehr schicken. Zögern Sie nicht und stimmen Sie umgehend zu, wenn Sie weiter von uns informiert werden wollen. Andernfalls werden Sie ab dem 25. Mai wie gesetzlich festgelegt von unserer E-Mail-Kommunikation ausgeschlossen, schreibt mir eine Institution aus dem politischen Umfeld in Berlin.
Die andere, sozusagen pro-aktive, die Remainer: Na, Sie haben doch früher längst schon mal zugestimmt, und so lange Sie nicht widersprechen, schicken wir Ihnen weiter was. Entlang des Erwägungsgrundes 171 der EU-DSGVO sowie des Beschlusses des Düsseldorfer Kreises vom 14. September 2016 gelten die uns von Teilnehmern vor dem 25. Mai 2018 erteilten Einwilligungen fort, heißt es in der Mail einer anderen Institution.
Mit anderen Worten: Es herrscht heilloses Chaos, wenn die Vorgaben einer EU-Verordnung so richtig gegensätzlich interpretiert werden können. Dass manche Organisationen sich darauf berufen, ich hätte ihnen doch schon mal eine Einwilligung erteilt, obwohl das thematisch sehr unwahrscheinlich ist und ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann, macht es nicht besser.
Die Trennlinie zwischen den beiden Denkschulen der Exiter und der Remainer läuft quer durch alle an Kommunikation interessierten Lager. Einen Trend beobachte ich, bei aller Vorsicht, dennoch: Die Institutionen, die aus dem politischen Umfeld kommen, neigen mehr dazu, sich das noch mal bestätigen zu lassen. Im Marketing von Unternehmen setzt man offensichtlich dagegen eher darauf, dass alles bleibt wie es ist.
Eine – naturgemäß unvollständige – Übersicht der beiden Denkschulen, wie sie sich in den in den vergangenen Tagen bei mir eingegangenen Mails abzeichnet:
• Die Exiter (ohne erneute Zustimmung schicken wir nix mehr):
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
German Marshal Fund of the United States
Rohde&Schwarz
Airwars
Drescher&Cie
Dronemasters
Miele
Vorwärts-Verlag
Bundesministerium der Verteidigung
Bertelsmann-Stiftung
Hamburg Messe
Rat für Nachhaltige Entwicklung
BAMIK GmbH
EO Institut
Bonn International Center for Conversion
European Leadership Network
Bundesverband der Deutschen Industrie
Europäische Bewegung Deutschland
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Pressedienst Fahrrad
• Die Remainer (natürlich schicken wir Ihnen weiter was, so lange Sie nicht widersprechen):
Aktionsbündnis Seelische Gesundheit
Bundesstiftung Aufarbeitung
Meetup Inc.
Heinrich-Böll-Stiftung
Aktienexplorer
Zentrum Liberale Moderne
Aktionsbüro Stopp Air Base Ramstein
Edel Books
3M Deutschland GmbH
Finanzwelt
Deutsche Atlantische Gesellschaft
Stefan Liebich MdB
HRS
Diakonie Deutschland
EURACTIV
Interel Deutschland
Forum Dialog
MyTaxi
Yorck Kinogruppe
taucher.net
Ushaidi
Das steht jetzt am Abend des 24. Mai ja dann ungefähr 50:50 oder eins zu eins (und natürlich fehlen da etliche, die mir einfach weiter Mails schicken. Auch habe ich noch nicht ganz verstanden, warum manche Bundesministerien für ihren Presseverteiler eine DSGVO-Erklärung wollen, andere das aber noch nicht mal thematisieren).
Aber mal im Ernst: Ein Gesetz, dass von Betroffenen je zur Hälfte so und von der anderen Hälfte genau anders verstanden wird – was taugt das?