Der Norden des Berliner Stadtteils Tempelhof, am Platz der Luftbrücke und nahe des ehemaligen Flughafens, ist eine ruhige Wohngegend. Da fällt ein wuchtiger bronzefarbener Pickup-Truck auf, der sich an diesem Samstagmittag um die Ecke einer Seitenstraße schiebt. Der Fahrer hat nicht den Blinker gesetzt; ich hüpfe noch schnell vor dem Wagen über die Straße und murmele eine Verwünschung in Richtung des Fahrers.
Auf so etwas scheint der Fahrer des riesen Wagens nur gewartet zu haben. Er lässt den Pickup mitten auf der Straße stehen, sprintet hinter mir her und brüllt mich an, ich hätte ihn beleidigt und er werde mich anzeigen.
Es bleibt nicht bei den verbalen Attacken. Er greift mich an der Kleidung und hindert mich mit körperlicher Gewalt daran, weiterzugehen. Der Mann ist erkennbar Deutscher, um die zwanzig Jahre jünger als ich. Und unter seiner modischen schwarzen Outdoorjacke wirkt er durchtrainiert. Vor allem vermittelt er mir den Eindruck, dass er extrem gewaltbereit ist.
Da verzichte ich lieber auf Gegenwehr gegen diesen Angriff und brülle möglichst laut um Hilfe. Erste Passanten bleiben stehen. Ich fordere sie direkt auf: Rufen Sie die Polizei, hier passiert ein Überfall!
Die Passanten zögern, sind unsicher, wie sie die Situtation einschätzen sollen. Keiner greift zum Handy, immerhin gehen sie nicht einfach weiter. Der Angreifer nutzt diese Lage für eine paradoxe Intervention (ob zufällig oder gezielt, kann ich natürlich nicht einschätzen): Ja, rufen Sie die Polizei, damit ich ihn anzeigen kann, ruft er den Passanten zu, die daraufhin noch verunsicherter sind und erst recht nicht zum Telefon greifen.
Die Lage entschärft sich erst, als die Fahrerin (!) eines vorbeikommenden Lieferwagens anhält, aussteigt und auf den Angreifer einredet. Ich sei doch viel älter als er, und das Verhalten dieser Fußgänger kenne man doch, wie bei den Radfahrern. Der Zuspruch scheint den Angreifer zu besänftigen, er lässt von mir ab, steigt in seinen Pickup und fährt davon.
Solche Vorfälle dürften, zumal in anderen Teilen Berlins, an der Tagesordnung und keiner Erwähnung wert sein. In dieser ruhigen Wohngegend, wenige hundert Meter von der Privatwohnung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller entfernt, habe ich das in den vergangenen Jahren nicht erlebt. Schon gar nicht mit diesem Täter-Typus. Und ich weiß auch nicht, wie das Ganze ohne Passanten als Zeugen und bei Dunkelheit abgelaufen wäre.