(Crosspost vom Techniktagebuch)

Ich beschließe spontan, am oberen Ende der Altersspanne mal was Neues zu lernen – und da kommt mir an einem Wochenende im Herbst 2016 ein Hinweistweet von netzpolitik.org gerade recht: Bei der Chaoswelle, den Funkamateuren im Umfeld des Chaos Computer Clubs (CCC), wird ein kostenloser Amateurfunkkurs angeboten. Nun beschäftige ich mich ja mein ganzes Berufsleben schon mit Kommunikation, und das ist eine neue Variante. Außerdem, erfahre ich beim ersten Nachlesen des Themas, wird schon seit fast 15 Jahren nicht mehr verlangt, dass man Morsen lernen muss – das schien mir bislang eine unüberwindliche Hürde.
Ohne diese Hürde reizt mich vor allem die Kommunikation ohne eine Infrastruktur dazwischen. In Zeiten weltumspannender Chats und, wie es mal bei einem inzwischen untergegangenen Computernetzwerk hieß, Information at your fingertips, ist die Kommunikation von Bottrop nach Buenos Aires oder das Nachschlagen der Öffnungszeiten eines Museums in Feuerland im Internet eine Sache von wenigen Minuten. Allerdings nur, weil dazwischen eine aufwändige Infrastruktur steht, die von meinem Smartphone über ein engmaschiges Mobilfunknetz überall dorthin reicht, wo die verschiedenen Netze existieren. Ich würde gerne mal ohne diese Zwischenstationen kommunizieren, und das muss noch nicht mal in andere Kontinente sein. Von Kreuzberg nach Moabit würde mir ja schon reichen.
Mit einer Reihe ebenfalls interessierter Männer (Frauen sind, das merke ich dann zunehmend, in diesem Kreis recht selten) sitze ich dann an einem Montagabend in den Clubräumen des Berliner CCC und fange an, die Geheimnisse des Funkens zu lernen. Das reicht vom geradezu Banalen (Eine Amateurfunkstelle ist eine Funkstelle des Amateurfunkdienstes, heißt es in den Vorschriften) über einfach auswendig zu lernende Faktoiden wie die so genannten Landeskenner (D für Deutschland und F für Frankreich sind ja logisch, aber warum hat Dänemark OZ und Ägypten SU, dagegen die Ukraine EM und Russland UA?) bis hin zu den Grundlagen der Elektrotechnik.
Da merke ich dann, dass die meisten meiner Mitaspiranten ganz andere Voraussetzungen haben. Die haben nämlich meist eine technische Vorbildung oder zumindest elektrotechnisches Interesse und würden auf so eine Frage nie reinfallen:

Richtig ist natürlich Antwort A: Da ist gar kein geschlossener Stromkreis. Sieht doch jeder sofort. Ich allerdings nicht, und das nicht nur, weil meine letzte Physikstunde 40 Jahre her ist: Diese ganz grundlegende technische Ebene ist mir fremd, und ich muss sie mir erst mühsam erarbeiten. (Das Beispiel oben stammt aus dem offiziellen Katalog der Prüfungsfragen der Bundesnetzagentur, bei der jeder angehende Funkamateur eine Prüfung ablegen muss.)
Die technische Seite geht natürlich munter weiter, und ich quäle mich schon ein wenig da durch.

Schritt für Schritt schaffe ich das auch, beschließe aber recht früh, nur die Amateurfunkprüfung der Klasse E abzulegen: Diese oft als kleine Klasse (und international noch deutlicher als Novice Class) bezeichnete Amateurfunklizenz unterscheidet sich von den großen Funkern mit ihrer Klasse A allein im Umfang der Technikkenntnisse.
Das hat schon seinen Sinn, denn der Amateurfunk hebt sich in einem Punkt ganz grundlegend von den vielen verschiedenen anderen Funkdiensten ab, die es gibt. Wer ein Smartphone benutzt (Mobilfunkdienst!) oder auf einem Schiff ans Funkgerät geht (Seefunk!), muss immer ein zugelassenes Funkgerät benutzen, unabhängig davon, ob noch zusätzlich ein Funkzeugnis nötig ist wie auf See. Funkamateure dagegen dürfen nach Herzenslust in solchen Geräten mit dem Lötkolben herumfuhrwerken und es umbauen oder sich gleich komplett ihr eigenes Funkgerät bauen – so lange es nur auf den zugelassenen Frequenzen funkt und bestimmte technische Grenzwerte einhält (um den Nachbarn mit seinem Herzschrittmacher nicht gleich zu Boden zu strecken).
Da ist es schon sinnvoll, wenn man weiß, was man tut. Ich als Aspirant für die Klasse E weiß das zum Teil, darf dafür aber auch nicht alle Frequenzen benutzen, die für die Klasse A erlaubt sind. Und darf auch nur mit viel weniger Leistung senden, zum Beispiel mit maximal 75 Watt gegenüber den 750 Watt Sendeleistung, die den Klasse-A-Funkamateuren zugestanden werden.
Aber so was muss ich auch lernen:

und mir dabei merken, dass ich bei der Berechnung der Grenzwerte der elektromagnetischen Verträglichkeit in der Umwelt und damit für den Sicherheitsabstand für so eine Richtantenne einen Gewinnfaktor von 1,64 einrechnen muss (wg. dem Nachbarn mit dem Herzschrittmacher, und wegen der Personenschutzgrenzwerte für alles menschliche Gewebe).
Mit Lehrbuch und vor allem Online-Programmen bereite ich mich auf die Prüfung vor; neben der Technik gibt es einen kompletten Block Funkbetrieb

und einen Block Rechtsvorschriften.

In jedem dieser drei Teile, so sieht es die Prüfungsordnung vor, muss man etwa drei Viertel der Prüfungsfragen richtig beantworten (es geht also nicht, mangelnde technische Kenntnisse durch besonders eifriges Lernen der rechtlichen Vorschriften auszugleichen).
Die letzten Tage vor der Prüfung, die in der Außenstelle der Bundesnetzagentur draußen am Tegeler Flughafensee stattfindet, pauke ich wie schon seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr – so lange habe ich keine solche Prüfung mehr ablegen müssen.
Und dann sitze ich mit zehn anderen Prüflingen im schmucklosen Zweckbau, bekomme meinen Prüfungsbogen – je eine Stunde Zeit für 34 Fragen zu Technik, Betriebskenntnis und Vorschriften – und mache mich an die Arbeit. Vielleicht habe ich einfach gut gelernt, vielleicht habe ich auch ein bisschen Glück: Ich bestehe die Prüfung (leider sagt der Prüfer nicht, wie viele richtige und falsche Antworten man hatte). Als ich mein Amateurfunkzeugnis bekomme, bin ich richtig ein bisschen gerührt. Und schon einen Tag später habe ich in der Post eine Art amtlichen Ausweis, mit Bundesadler auf Dokumentenpapier: Meine Zulassung zum Amateurfunkdienst mit dem Rufzeichen DO7TWI, korrekt buchstabiert im Funkbetrieb: Delta Oscar Sieben Tango Whisky India.
Nur Funken kann ich noch nicht. Anders als fast alle anderen Kursteilnehmer habe ich mir nämlich nicht schon lange vor der Prüfung ein kleines günstiges Handfunkgerät bestellt – dafür war ich zu abergläubisch. Ich muss deshalb noch gut eine Woche warten, bis sich DO7TWI im Berliner Äther zu Wort melden kann.
(Screenshots der Fragen aus dem Fragenkatalog der Bundesnetzagentur; Veröffentlichung gem. §5 Urheberrechtsgesetz frei)
(Thomas Wiegold)
Dann hören wir uns vielleicht einmal oder sehen uns auf der Ham Radio 2017 in Friedrichshafen, einer Messe mit großem Flohmarkt rund um den Amateurfunk.
Gratulation zur bestandenen Prüfung und viel Spaß!
Thilo, DG2GBT
Tja, das mit den zumindest in Europa so selten anzutreffenden YL ist wohl auch Erziehungssache. Eigentlich merkwürdig, daß diese zwar oft stundenlang an der Strippe hängen, aber wenn es um etwas anspruchsvollere Kommunikationseinrichtungen geht wird dies ziemlich schnell als technische Spielerei abgetan und gleich gar nicht wirklich ernst genommen. In den USA ist man da bedeutend aufgeschlossener, da gibt es auch jede Menge Großväter die ihren Enkelinnen in die Natur hinausfahren und dort ihr Camp aufschlagen. Wenn also schon 10 bis 14 jährige Mädchen so viel Spaß haben, warum nicht auch mal die Ehegattin oder die Tochter?!
Möglicherweise liegt dies aber auch an der demographischen Entwicklung, die inzwischen weltweit das Durchschnittsalter der OM’s ziemlich weit in die Höhe schnellen ließ und man nicht unbedingt zu diesem „Altherrenklub“ gehören möchte. Währen man also am Telefon ohne jegliche Formalitäten die freie Rede pflegen kann, steht dies im Gegensatz zu den Gepflogenheiten am Funk, da hier ein gewisser protokollarischer Ablauf vorgegeben ist. Es hat aber auch sicherlich mit der verfügbaren Zeit und den dafür nötigen Mittel zu tun, das Hobby ist verglichen mit vielen anderen alles andere als billig. Nicht selten endet es, ein idealer Standort vorausgesetzt, in einer geradezu irrationalen Materialschlacht, die eigentlich nichts mehr mit den ursprünglichen Idealen des Amateurfunks zu tun hat. Hinzu kommen dann auch noch einige Schattenseiten, die einem das Hobby auch schon mal verleiden können, aber das ist eine andere Problematik.
Nette Grüße
CodeParc