Fachbereich Seniorenbetreuung? Ihr spinnt wohl.

Die Werbung ist so lange her, dass sie nicht mal mehr bei Google zu finden ist. Eine betagte Hamburger Sängerin posierte mit den Kopfhörern eines Walkman für einen großen Unterhaltungselektronik-Händler. Die knallige Schlagzeile: Hörgerät? Ihr spinnt wohl!

Die Sängerin lebt – vermutlich – nicht mehr, um die Handelskette ist es still geworden, und auch mobile Musikabspielgeräte heißen schon lange nicht mehr Walkman. Eines hat sich allerdings nicht geändert – im Gegenteil. Noch mehr als früher denkt diese Gesellschaft und mit ihr die Politik in der Schwarz-Weiß-Schablone: Gestern noch in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen, heute Senior 50 plus und ein Fall für den Fachbereich Seniorenbetreuung.

Irre, einfach irre, und man könnte es ja als irrelevant abtun, wenn von dem komischen – und widersprüchlichen – Verhalten der Politik nicht einiges abhinge. Diejenigen, die im Berliner Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg die Generation 50 plus an den Fachbereich Seniorenbetreuung abschieben, sind vermutlich in einer der Parteien, in deren Spitze über die die Rente mit 67 und ähnliches diskutiert wird. Jeder auf seiner Ebene so, wie es ihm, den Rentenkassen und ähnlichen öffentlichen Einrichtungen passt.

Für Berufssoldaten, zugegeben eine von der Zahl kleine Gruppe, hat sich das Verteidigungsministerium da was ausgedacht: Das Altersband 3, militärisches Gegenstück zur Generation 50+, beginnt… genau: mit 50 Jahren. Ab diesem Alter sollen die Militärs sofort in Rente gehen können – und die Pension bekommen, die sie auch bekämen, wenn sie bis zum Dienstzeitende in Uniform blieben.

Das ist – zum Teil – nachvollziehbar; der 60-jährige Infanterieoffizier, der durchs Gelände stürmt, ist ähnlich schwer vorstellbar wie der immer wieder zitierte Dachdecker, der mit 63 auch nicht mehr den Dachstuhl erklimmen kann. Der eine wird, nicht unbedingt schlecht versorgt, mit seinem vollen Ruhegehalt in Pension geschickt, der andere muss erhebliche Abschläge von seiner Rente hinnehmen, wenn er vor Erreichen der Altersgrenze – 65? 67? vielleicht demnächst 69? – in den Ruhestand geht oder gehen muss. Das ist die öffentlich gesteuerte Versorgungs-Seite: je nach Bedarf und Kassenlage wird ausgeteilt oder genommen.

Auf der anderen steht der 54-jährige, den ein Freund in einem Konzern neulich unbedingt für seine Abteilung haben wollte: mit seinen Kenntnissen und seinem Lebenslauf passten alle Anforderungen genau auf ihn. Doch die Personalverwaltung lehnte ab. Mit 54 werde keiner mehr eingestellt.

Was will diese Gesellschaft eigentlich? Den immer fitten Senior? Der aber, leider, leider mit gekürzter Rente durchs Leben humpeln soll? Das passt alles nicht zusammen.

Vielleicht nervt mich das ja alles auch nur, weil ich mittlerweile nach der Klassifizierung des Berliner Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg Senior 50+ bin. Noch ein paar Jahre Arbeit vor mir habe und auch haben will. Und mich wahrlich nicht als Klientel des Fachbereichs Seniorenbetreuung empfinde. Was für ein Menschenbild steckt bei den ganzen Irren eigentlich dahinter?

 

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Über wiegold

Thomas Wiegold
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9 Antworten zu Fachbereich Seniorenbetreuung? Ihr spinnt wohl.

  1. Roger schreibt:

    Ich finde die Forderungen der Politik das Rentenalter zu erhöhen einfach scheinheilig. Das Beispiel im Artikel zeigt genau wo der Hund begraben liegt- obwohl Altersobergrenzen eigentlich unlauter oder sogar illegal sind weigern sich viele Arbeitgeber ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen und setzen in Stellenanzeigen willkürliche Altersgrenzen. Mein Vorschlag: Man verbietet solche Altersgrenzen GENERELL und stellt es bei Missachtung unter Strafe und es müsste auch die Möglichkeit geben gegen solche unlauteren Stellenanzeigen zu klagen. Die Politik muss auch einen gewissen Druck auf die Arbeitnehmer ausüben sonst kann die Rente mit 69 einfach nicht funktionieren. Die Politiker können nicht verlangen dass wir bis 69 arbeiten wenn die Unternehmen nicht mitziehen!

  2. Heike Rost schreibt:

    Schöner Blogpost. Und nicht nur, aber auch denjenigen ordentlich um die Ohren zu schlagen, die einerseits ein Renteneintrittsalter von mindestens 67 propagieren – andererseits aber ignorieren, dass ab ca. 45 die realen Chancen auf dem Arbeitsmarkt gen Null tendieren.
    (In Gedanken bei Liebermann.)

  3. sd schreibt:

    @Roger: das ist eine schoene forderung, wie soll so etwas durchgesetzt werden?

    @Heike Rost: ist das nicht eher eine transiente schwierigkeit?
    Das reale renteneintritsalter ist, besonders in den 90er jahren, deutlich unter 64 gelegen. Damit ist es fuer unternehmen deutlich weniger interessant gewesen ueber 50 jahre alte mitarbeiter einzustellen. Da ging es den unternehmen vermutlich aehnlich wie beim einstellen von frauen an die 30. Es wird gefuerchtet, dass die nur kurz im unternehmen bleiben um die zeit bis zum naechsten lebensabschnitt zu ueberbruecken.

    Ein anstieg des tatsaechlichen renteneintritsalters koennte da moeglicherweise die einstellungsgrenze nach oben schieben.

    Zweitens sollte man nicht den verbleib von arbeitnehmern in unternehmen und die einstellung von aelteren vermischen. Insbesondere langzeitarbeitslose, die man ja grundsaetlich nicht einstellt. Naturgemaes ist deren alterskurve auch eher nach oben verschoben.

    Die beiden anderen aspekte sind die hoehere gesundheit im jungen seniorenalter und der bevorstehende mangel an qualifizierten arbeitskraeften. Insbesondere das letztere wird vermutlich dazu fuehren, dass unternehmen versuchen werden alte mitarbeiter so lange wie moeglich zu halten.

    Auch wenn die deutschen unternehmen und behoerden im allgemeinen sehr schnell auf veraenderungen reagieren, dauert es doch ein wenig bis verhalten wie es TW beschrieben hat verschwindet, oder zumindest selten wird. Man sollte die rente mit 67+ sache etwas weniger vorsichtig angehen, man muss es einfach ausprobieren.

    Zum wort senior schreibt die wikipedia: „… bezeichnete als Gegenwort zu Junior einen erwachsenen, reifen Mann von etwa 45 bis 60 Jahren.“
    Vieleicht sollte ich aber auch dazusagen, dass das die definition vom 14 jhd bis in die 60er des vergangenen jahrhunderts war. Das ist bestimmt nur gut gemeinte traditionspflege.

  4. wiegold schreibt:

    Senior ab 45? Na ja, Immanuel Kant soll angeblich mit 50 Jahren Wert auf die Anrede „ehrwürdiger Greis“ gelegt haben… Insofern sollten die ihre Traditionspflege mal überdenken.

  5. Roger schreibt:

    @sd Bei uns in der Schweiz sind solche Altersgrenzen eigentlich gesetzlich verboten, was hier und in Deutschland fehlt ist die Möglichkeit, Arbeitgeber zu melden die sich nicht an dieses Gesetz halten. Sicher ist es illusorisch zu verlangen dass der Staat dafür sorgt dass dieses Gesetz durchgesetzt wird aber ich denke wenn die Strafen bei Zuwiderhandlung entsprechend hoch wären würde sich langsam aber sich auch etwas ändern- wenn ich als Unternehmer damit rechnen musss für eine Stellenanzeige ein Strafgeld von 20’000 Euro zu zahlen überlege ich mir dreimal ob ich eine Altersgrenze im Inserat festsetzte. Natürlich ist Strafe nur ein Mittel, es muss sich auch in den Köpfen der Arbeitgeber etwas ändern- ich kann die Unternehmer ja auch ein Stück weit verstehen, die Sozialabgaben sind für ältere Arbeitnehmer einfach deutlich höher, vielleicht müsste man auch hier ansetzen um den Arbeitgebern einen Anreiz zu geben auch ältere Arbeiter einzustellen.

  6. sd schreibt:

    @roger „Bei uns in der Schweiz sind solche Altersgrenzen eigentlich gesetzlich verboten, was hier und in Deutschland fehlt ist die Möglichkeit, Arbeitgeber zu melden die sich nicht an dieses Gesetz halten.“

    Das ist, so denke ich, nicht insulaer in der schweiz. Es gibt eine ganze reihe solcher anti-diskriminierungs regelungen. Nur nutzen die nur in ausnahmefaellen etwas. Es ist im normalfall schlicht unmoeglich es einem unternehmen nachzuweisen. Es ist ja keiner so dumm den tatsaechlichen grund jemanden nicht zu nehmen so zu begruenden. Es laesst sich immer irgend eine fehlende qualifikation oder aehnliches finden um im nachhinein zu begruenden warum jemand nicht genommen wurde. Es laeuft ja schliesslich nicht ueber die im inserat festgesetzte altersgrenze.

    Der schuss kann durchaus auch nach hinten losgehen: Einem meiner bekannten wurde bei einem berufungsverfahren fuer eine hochschulposition, das eigentlich eine sichere sache fuer ihn sein sollte hinter vorgehaltener hand mitgeteilt, dass er pech hatte, da sich auch eine frau beworben hat, und diese „by default“ genommen wuerde. Der papierkrieg sei einfach zu gross, wenn sie nicht genommen wuerde, das muesste naemlich — aufgrund hausinterner regeln — ausfuehrlich begruendet werden, von juristen geprueft und das verfahren um mehrere monate verlaengern.

    Nun sind in den ingenieur und naturwissenschaften frauen wirklich sehr unterrepraesentiert. Das ist vor allem durch den chauvinismus vergangener jahre begruendet. Hier hat sich aber bereits der sinneswandel weitgehend vollzogen, jetzt ist es eher der mangel an frauen die ueberhaupt einen abschluss in diesen faechern machen, die frauen so rar machen. (Uebrigens ein bereich in dem es wohl keine nennenswerte altersdiskriminierung gibt, liegt wohl am „auf lebenszeit“)

    „vielleicht müsste man auch hier ansetzen um den Arbeitgebern einen Anreiz zu geben auch ältere Arbeiter einzustellen.“
    hier liegt wohl der hase im pfeffer. Der erste schritt is allerdings die arbeitnehmer zu halten. Die alten in den firmen sind ja nicht durch entlassungen so ausgeduennt, sondern durch ruhestandsregelungen in den vergangenen jahrzehnten. Ich bezweifel das die leute die jetzt um die 50 sind, die unternehmen in zehn jahren in grosser zahl verlassen haben. Der trend, gerade mit den guten erfahrungen aus der kurzarbeit, geht doch bereits in eine andere richtung.

    Es gibt auch noch einen weiteren unterschied, die fuenfzig-jaehrigen heute in unternehmen haben den strukturwandel in den unternehmen, den anstieg der produktivitaet und, ganz wichtig, faehigkeit mit sich aendernden IT umzugehen ja sehr aktiv mitgemacht, bzw selbst mitgestaltet. Oder um es anders zu sagen, sie sind eben nicht in der langzeitarbeitslosigkeit gelandet, als rationalisiert wurde.

    Es ist vielleicht etwas anderes bei handwerkern, dem beruehmten dachdecker zb. Da bin ich aber vorsichtig optimistisch, die beiden unternehmen die ich kenne, hatten durchaus einige aeltere arbeiter. Die sind mit der zeit, jahrzehnte im unternehmen, zu so vielen unterschiedlichen aufgaben faehig gewesen, dass sie die logistik, koordination, aufsicht, lehre, verwaltung und ganz wichtig: das gespraech mit den kunden gefuehrt haben. Sie waren mit abstand am meisten beschaeftigt. Wir haben ja in d (auch at und vermutlich auch ch) eine struktur von vielen kleinen mittelstaendlern und sehr qualifizierten und eng in unternehmensablaeufe eingebundenen beschaeftigten. Worueber man sich sorgen sollte, sind gering qualifizierte, aber da ist die rente mit 67 eher ein zweitrangiges problem.

  7. H. Wilker schreibt:

    @Vorkommentatoren: Auch in Deutschland ist Altersdiskriminierung – unter anderem – im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten:

    http://www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html

    Deshalb müssen sich Firmen, die Altersgrenzen durchsetzen wollen, vermutlich Ausweichgründe ausdenken; über die gegenwärtige Praxis bin ich nicht auf dem Laufenden. Auch der 54-jährige Kandidat von T. W.s Konzern-Freund müßte also mit einem anderen Grund abgelehnt worden sein – zumindest offiziell.

    Ansonsten erwarte ich, dass sich die Diskussion um das Rentenalter in ein paar Jahren recht plötzlich – so im Laufe von zwei, drei Jahren – in Luft auflösen wird, weil Firmen händeringend nach Personal suchen – egal wie alt. Und wie sd schon schreibt: dann ist die Hauptfrage die Qualifikation.

  8. Dee schreibt:

    Als Bismark die Rente einführte, hieß es, das System könne langfristig nur funktionieren, wenn maximal 2 Prozent der Bevölkerung erhielten. Das wäre ein heutiges Renteneintrittsalter von 88 Jahren.

  9. Ich muss mich als indirekt Betroffener hier in die Diskussion einschalten. Auch ich denke, dass Firmen langfristig umdenken werden, wenn es darum geht, ältere einzustellen. Für mich, und daran mache ich auch fest, wenn neue Bewohner in unsere Heime kommen, beginnt das Seniorenalter grundlegend(!) dann, wenn jemand aus Altersgründen nicht mehr fähig ist, Arbeit zu verrichten. Dennoch braucht man natürlich eine allgemeine Grenze, ab wann man offiziell Rentner sein darf. Diese Grenze muss aber auf einem breiten gesellschaftlichen Diskurs gefunden werden, und nciht aus wirtschaftlichen Gründen nach Gutdünken festgelegt werden!

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